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Gott hatte seine eigenen Pläne für mich
Rundbrief, Herbst 2022

Synaru, ein Mitglied des Altai-Übersetzungsteams von IBT, besuchte kürzlich das Moskauer Büro und teilte ihre Freude mit uns: Sie hatte gerade ihre Masterarbeit in Theologie zum Thema Bibelübersetzung ins Altai verteidigt. Die Zeit zum Entspannen und Feiern war jedoch sehr kurz: Synaru stand vor ihrer nächsten Herausforderung – die Paulusbriefe zu überarbeiten, damit sie von den Gläubigen leichter verstanden werden.

Das Altai Neue Testament wurde erstmals vor zwei Jahrzehnten, im Jahr 2003, von IBT veröffentlicht. Seitdem hatten evangelische Kirchenmitglieder mehrmals Teilrevisionen initiiert, die 2014 zu einer überarbeiteten Veröffentlichung und dann 2017 zu einer zweisprachigen Ausgabe zusammen mit Russisch führten. Aber nichts half, und das Buch wurde nie weit verbreitet. So erklärt Synaru die Situation: „Die Altaier, die ihre Muttersprache gut sprechen, sind sehr einfache Menschen, die in den Dörfern hauptsächlich Viehzucht betreiben. Sie sind ziemlich weit von der Sprachanalyse entfernt. Für sie ist der Stil, in dem die Paulusbriefe geschrieben sind, daher völlig ungeeignet: Manche Sätze sind so lang und kompliziert, dass man am Ende des Satzes völlig vergessen hat, wer was getan oder wer was zu wem gesagt hat. Natürlich habe ich auch Russen gehört, die im Altai leben, die sich darüber beschweren, dass sie oft die Bedeutung vieler Passagen in der russischen synodalen Übersetzung der Briefe nicht verstehen.“ Dieser Mangel an Verständnis gab Synaru den Anstoß, eine theologische Ausbildung zu absolvieren: „Als der Autor seine Briefe schrieb, schrieb er nicht nur eine unzusammenhängende Reihe von Wörtern. Also wollte ich herausfinden, warum die Menschen die Bedeutung des übersetzten Textes nicht verstehen können.“

Synaru‘s Universitätsausbildung war Philologie (Sprach- und Literaturwissenschaft), und wie oben bereits erwähnt, ihre Prüfungsstudien waren in Theologie. Aber was für einen langen Weg musste sie gehen, um ihre Abschlüsse zu erlangen! „Ich bin in den Bergen geboren und in einer Hirtenfamilie aufgewachsen“, begann sie ihre Geschichte. „Unsere Siedlung an der kasachisch-mongolischen Grenze war das von der Hauptstadt in Gorno-Altaisk am weitesten entfernte Dorf und damit das am weitesten von der Zivilisation entfernte in der gesamten Republik Altai. Bis ich sechs Jahre alt war, sprach ich nur Altai, aber als ich sechs Jahre alt wurde, brachten mich meine Eltern in ein größeres Dorf und schickten mich dort zur Schule. In diesem Dorf waren die Mehrheit der Bevölkerung Kasachen, und so war in meiner Sch

ule Kasachisch die Unterrichtssprache. Kasachische Kinder besuchten kasachischen Sprach- und Literaturunterricht, aber Altai-Kinder sollten stattdessen Altai-Sprachunterricht besuchen. Das war gut gemeint, aber - es gab keinen Altai-Lehrer an der Schule! So wurde uns Altai von einem kasachischen Lehrer beigebracht, der unsere Sprache selbst nicht wirklich kannte, sondern uns lediglich befahl, Texte aus dem Lehrbuch abzuschreiben. Was Russisch betrifft, so wurde uns als zusätzliche Fremdsprache Russisch (in Kasachisch als Unterrichtssprache) beigebracht. Nachdem ich die Schule abgeschlossen hatte, wollte ich Ärztin werden und sagte meiner Lehrerin, dass ich vorhabe, meine Ausbildung an einer medizinischen Fakultät in Gorno-Altaisk fortzusetzen, aber sie überredete mich, stattdessen Lehrerin für Altai zu werden, weil die Schule dringend solche Spezialisten benötigte. So schrieb ich mich an der Altai-Abteilung der philologischen Fakultät der Gorno-Altaisk-Universität ein. Schon nach den ersten Prüfungen dachte ich ans Abbrechen, denn es wurde glasklar, dass ich meine Muttersprache fast vollständig verloren hatte, nachdem ich meine gesamte Schulzeit fern von meinem muttersprachlichen Umfeld verbracht hatte. Ich konnte nur ein bisschen sprechen, und überhaupt nicht schreiben. Ich konnte auch nicht auf Russisch schreiben, also konnten mir meine Lehrer keine positiven Noten geben.“

Synaru war ratlos, gab aber nicht auf: Meine Eltern haben mich gebeten, trotz alledem weiterzumachen. Mehr noch: So wie ich es jetzt verstehe, hatte Gott seine eigenen Pläne mit mir. Gleich nach meinem Universitätsabschluss lernte ich Jesus kennen und fing an, eine örtliche evangelische Kirche zu besuchen, in der die Mehrheit der Gemeindemitglieder Altaier waren. Ich blieb in der Stadt und fing an, als literarische Assistentin für eine Kinderzeitung zu arbeiten. Bald war ich auch in meiner Gemeinde für die Arbeit mit Kindern zuständig. Ich wurde zum ersten Mal eingeladen, an der Verständlichkeitsüberprüfung  des altaischen NT teilzunehmen, als eine Gruppe neuer Christen, darunter auch ich, anfingen, die Bibel für uns selbst zu studieren. Nach der NT-Veröffentlichung und ersten Kommentaren der Leser die beanstandeten, dass der Text unverständlich sei, überarbeiteten der Übersetzer und ich die Evangelien. Damals fragte ich mich, welche Literatur Altai-Kindern zum Lesen gegeben werden könnte, also wandte ich mich um Rat an IBT. Infolgedessen wurde ich beauftragt, eine gekürzte und vereinfachte Version der Kinderbibel, „Biblische Geschichten“. ins Altai zu übersetzen.

„Mein Punkt ist, dass, wenn man den Menschen einen schwierigen Text gibt, sie ihn meistens nicht lesen werden. Noch mehr die Altaier. Als meine Familie den christlichen Glauben angenommen hatte, brachte ich meinen Brüdern und Schwestern ein russisches NT und - sie verstanden nichts! Dann besorgten wir ihnen eine weitere russische Ausgabe, die für kleine Kinder gedacht war, und mein Bruder sagte: „Ich habe erst angefangen, die Bibel zu verstehen, nachdem ich dieses Buch mit den heiligen Schriften für Kinder gelesen hatte.“ Mir kam der Gedanke, dass den Menschen zunächst biblische Literatur für Kinder gegeben werden sollte, damit sie sich an den Aufbau des Textes gewöhnen und begreifen können, worum es geht. Ansonsten ist es so, als würde man jemandem Fleisch mit Knochen anbieten, das dazu führt, dass einem der Knochen im Hals stecken bleibt. Die Leute werden das nicht mehr lesen wollen. Ich bin froh, dass wir die erforderliche Aufgabe mit den „Biblischen Geschichten“ anscheinend erfüllt haben. Alle Rezensionen dieser Ausgabe waren sehr gut. Die Leute sagten uns: „Es ist sehr klar, und wir haben so viele Worte daraus für uns selbst genommen! Es stellt sich heraus, dass das Lesen der Bibel so interessant ist!“ Mir wurde klar, dass nacherzählte bibelische Geschichten tatsächlich eine gute Gelegenheit sind, jemanden in die Welt der Bibel einzuführen.“

Synaru macht jedoch nicht bei Kindereditionen halt. In ihrer Masterarbeit untersuchte sie die Erfahrungen des ersten orthodoxen Missionars im Altai im 19. Jahrhundert, Metropolit Macarius (Glukharev). Und das sagt sie über die Aussichten, die ganze Bibel ins Altai zu übersetzen: „Die Tatsache, dass wir immer noch keine vollständige Bibel in Altai haben, ist ein großes Minus. Als Metropolit Macarius in den Altai kam, sah er, dass die Altaier kein Russisch verstanden und es im Altai kein Schriftsystem gab, aber er verlor nicht den Mut: Er begann selbst, ein Altai-Schriftsystem auf der Grundlage des kyrillischen Alphabets zu erstellen! Er traf einen Anwohner namens Mikhael Chevalkov und unterrichtete ihn, und zusammen übersetzten sie das Vaterunser und dann die Seligpreisungen. Seine Vision war, dass man, wenn man den Menschen das Evangelium lehrt, ihnen das Wort Gottes, geistliches Brot, in ihrer Muttersprache hinterlassen sollte.

Für mich ist das Wort Gottes Leben für die Menschen. Die Bibel ist die Grundlage der gesamten Kultur, des geistlichen Lebens und der Ethik. Wenn wir durch dieses Leben gehen, ohne das Wort Gottes in unserer eigenen Sprache zu hinterlassen, bleibt unsere Kultur ohne Grundlage und unsere Muttersprache wird eine Sprache ohne Zukunft sein. Ich glaube, wenn wir das Wort Gottes in der Altai-Sprache haben, werden wir nicht nur unsere Sprache und Kultur, sondern auch enorme spirituelle Reichtümer bewahren und unserem Volk Hoffnung und Zukunft geben.“
 

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