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„Die abchasische Bibelübersetzung soll nicht einem klumpigen Teig gleichen!“
Rundbrief, Winter 2019-2020

Eine alte abchasische Legende erzählt von einer Witwe, deren Mann getötet worden war und die ihre drei Söhne allein erzog. Als diese herangewachsen waren, kam die Zeit, da sie nach dem Gesetz der Ahnen ihren ermordeten Vater rächen sollten. Aber welcher von ihnen sollte der Rächer sein? Die Witwe schlug vor, für die Entscheidung zu losen. Sie würde einige Fladenbrote backen und in eines von ihnen ein Stücklein Holz verstecken. Wer dieses Holzstück in seinem Brot finden würde, sollte der Rächer sein. Aber die kluge Frau verbarg das Hölzlein absichtlich in dem Brot, das sie selber bekam, und so bat sie ihre Söhne, dem Feind zu vergeben. Diese alte Legende legte den Grund für eine neue Tradition in der abchasischen Kultur. Jedes Jahr feiern die orthodoxen Christen auf der ganzen Welt vor der Fastenzeit den Vergebungssonntag; sie vergeben alles erlittene Unrecht und bitten um Vergebung dort, wo sie im Lauf des Jahres andere gekränkt haben. Die Abchasen bringen ihre besondere Tradition in diese Feier ein. Alle abchasischen Familien, auch diejenigen, die sich zum Islam bekennen – und die Muslime sind zahlreich in der abchasischen Bevölkerung – alle backen Kuchen und rezitieren die Geschichte der weisen Witwe und ihrer Vergebung. Das ist einzigartig in einer Gesellschaft, die von Blutrache geprägt ist.

Diese Le

gende ist uns von Arda Ashuba, einem langjährigen Mitglied des abchasischen Bibelübersetzungsteams, erzählt worden. Es besteht kein Zweifel, dass eine solche Tradition sich nur in einem Volk mit christlichen Werten einwurzeln kann. Und tatsächlich kam das Christentum bereits zu Beginn des 4. Jahrhunderts nach Abchasien. Das abchasische Schriftsystem stammt von 1862, und 50 Jahre später, 1912, erschien die erste Übersetzung der vier Evangelien. Die Übersetzung des vollständigen neuen Testaments in die moderne abchasische Sprache war dann das Werk einer einzigen Person, des bekannten abchasischen Dichters, Übersetzers und Sprachwissenschaftlers Mushni Lasuria. 2005 unterzeichneten Mushni Lasuria und das IBT ein Abkommen für eine weitere Zusammenarbeit an der Übersetzung der abchasischen Bibel gemäss modernen, international anerkannten wissenschaftlichen Standards. Diese schliessen zahlreiche exegetische Überprüfungen und Kontrollen des Texts mit den Originalsprachen mit ein. Kürzlich ist ein neuer exegetischer Überprüfer zum Projekt gestossen, der nun erste Schritte in der Arbeit am abchasischen Text macht. Als nächstes stehen die Vorbereitung einer Ausgabe der Gleichnisse im Lukasevangelium und der Entwurf von Jona auf der Agenda des abchasischen Übersetzungsteams.

Arda, der Übersetzer, ist ein Wissenschaftler, Professor der Sprachwissenschaft und Direktor des Instituts für Geisteswissenschaften in Abchasien. Seine Erfahrung mit der Übersetzung in die abchasische Sprache ist gross und betrifft auch bedeutende christliche Texte. Zudem war er am Redigieren eines Entwurfs der kürzlich erschienenen Übersetzung des Korans in die abchasische Sprache beteiligt, da er auch als Christ andere religiöse Traditionen seines Volkes respektiert. Darüber hinaus arbeitete er an der Übersetzung der Untertitel des Jesus-Films, der vor kurzem auf Abchasisch erschienen ist. Die Idee, eine abchasische Version des Jesus-Films zu produzieren, wurde so begeistert aufgenommen, dass die für die Synchronisation verantwortlichen Schauspieler jeden Tag bis 3 Uhr morgens arbeiteten und so die Aufnahme in zehn Tagen vollendeten, obschon die meisten von ihnen nicht religiös waren. Arda kommentierte: „Offensichtlich war es Gottes Wille, dass der Film auf Abchasisch produziert wird: Die Schauspieler knieten sich in die Arbeit und verlangten nicht einmal ein Honorar – einfach so, für Gottes Segen.“ Der Film wurde durch die abchasische Bevölkerung herzlich aufgenommen. Die Leute erzählten, dass ihnen die Ereignisse des Evangeliums beim Anschauen des Films in ihrer Muttersprache viel näher gingen, als wenn sie die Evangelien auf Russisch lesen. So erwachte in uns der Wunsch, von diesem Jesusfilm nun auch eine Version für Kinder zu produzieren.

 

Arda hat bereits einige kurze alttestamentliche Bücher aus eigenem Antrieb übersetzt. Während dieser Arbeit bemerkte er, dass „die Denkweise des Nahen Ostens (und damit der alttestamentlichen Juden) der abchasischen Mentalität sehr nahe kommt.“ Und so schloss er, dass „sich der wahre Übersetzer nicht durch die übersetzte Seitenzahl, für die er bezahlt wird, auszeichnet, sondern durch die Qualität jedes einzelnen Wortes. Seine Aufgabe ist, das Leben, das in jedem einzelnen Wort der Schrift vibriert, zu erfassen, so dass es als lebendiges und nicht als totes Wort von der Feder des Übersetzers aufs Papier fliesst. Und das ist harte Arbeit.“

Nachdem er die Arbeit mit dem neuen exegetischen Überprüfer begonnen hatte, drückte Arda das Wesentliche im Bibelübersetzungsprozess in einigen lebensnahen Bildern aus:

„Wenn das Mehl von der Mühle kommt, kann man noch keinen Teig daraus kneten. Das Mehl muss zuerst gesiebt werden, so dass es keine Klumpen mehr darin hat. Erst dann wird der Teig fein und geschmeidig. Die Bibelübersetzung ist wie das Kneten eines Teigs. Wenn ich einen Textentwurf mache, ist das wie Vollkornmehl. Wir wollen aber nicht, dass der abchasische Text einem klumpigen Teig gleicht. Wenn der Exegeseberater und ich dann nach dem richtigen Wort suchen, so ist das wie Mehl sieben.“ Der Exeget nahm diesen Vergleich sofort auf und klärte seine Rolle: „Ich kann beim Sieben helfen, aber nur der Übersetzer kann sagen, wann das Mehl die gewünschte Feinheit erreicht hat.“

Manchmal ist es extrem schwierig, dem Originaltext treu zu bleiben und gleichzeitig eine natürlich klingende Übersetzung hinzukriegen. Ein Beispiel: Für den Ausdruck „Gott, der Herr“ gibt es in der abchasischen Sprache einen feststehenden Begriff, der bedeutet: „Der Eine, der Macht über uns hat“. Wenn ich jedoch „Mein Herr“ sagen will, so müsste die abchasische Form so geändert werden, dass sie „Der Eine, der Macht über mich hat“ bedeutet. Das würde aber so tönen, als ob wir nicht vom einen, wahren Gott redeten, sondern von einem weniger wichtigen Gott, etwa von einem Gott der Heiden. Was soll nun der Übersetzer tun, wenn er die persönliche Beziehung des Gläubigen zu seinem Schöpfer betonen muss? Wie kann er die Worte aus Jona 2,1 übertragen, wo es heisst: „Jona betete zum Herrn, seinem Gott“? Das Team muss dieses Problem und weitere, nicht weniger schwierige, noch lösen, aber der Übersetzer hat sein oberstes Arbeitsprinzip bereits verkündet: „Ich will für den Leser, die Leserin den Text nicht künstlich komplizieren. Man kann den Prozess des Bibelübersetzens mit dem Zuknöpfen eines Hemdes vergleichen. Wenn der Knopf zu gross und das Knopfloch zu klein ist, kann ich meine Kleider nicht ordentlich zuknöpfen. Das Wort muss in den Kontext passen, wie der Knopf in das Knopfloch. Oder man kann die Schuhe als Vergleich nehmen. Ich muss Schuhe in der richtigen Grösse anziehen, sonst wird das Gehen mühsam. So werden der Leser oder die Leserin auch Mühe haben, den Abschnitt zu verstehen, wenn ein Wort nicht in den Kontext passt.“

Das neu zusammengesetzte abchasiche Übersetzungsteam steht am Anfang einer langen Reise, aber die Haltung der Teammitglieder ist vielversprechend. Arda sagt: „Wenn ich in dieser Arbeit nützlich sein kann, so werde ich mit grosser Freude alles tun, was ich kann. Wahrhaftig, dies ist genau die Arbeit, für die ich mich mit Hingabe einsetzen will. Ich möchte, dass alle den Herrn in ihrer Muttersprache preisen können.“

Für die intensive Arbeit in diesem Projekt fehlen uns noch bis Ende Jahr noch CHF 1100. – Vielen Dank für Ihre Unterstützung.

 

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