Der zweispitzige Berg Elbrus liegt direkt an der Grenze zwischen Kabardino-Balkarien und Karatschai-Tscherkessien in der nordwestkaukasischen Region Russlands. Viele bekannte Legenden und Mythen wurden von den Einheimischen neu interpretiert und mit ihrer Heimat und diesem gewaltigen Berg in Verbindung gebracht. So suchten hier die Argonauten nach dem Goldenen Vlies, und Prometheus, der den Menschen das Feuer schenkte, wurde am Elbrus an einen Felsen gekettet. Das Volk der Abaza verbindet den Elbrus mit der biblischen Geschichte der Sintflut. Nach einer Legende der Abaza soll Noahs Arche am Elbrus Halt gemacht haben. Noah wandte sich an den Berg: „Bitte halte die Arche an, lass sie auf deinem Gipfel verweilen!“ Doch der Berg verweigerte sich dem rechtschaffenen Mann, worauf der Herr ihn bestrafte und seine Spitzen in zwei Teile spaltete, so dass die Arche schliesslich auf dem Berg Ararat anhalten konnte.
Diese Version der Legende wurde vom Abaza Dichter und Schriftsteller Alexander in seiner Jugend aufgezeichnet, als er die Folklore seiner Heimat sammelte. Viele Jahre später wurde Alexander zum Bibelübersetzer ins Abaza. Alexander hat drei Sammlungen von Abaza-Volksmärchen veröffentlicht und sagt, dass viele biblische Erzählmotive in der Abaza- Folklore vorkommen. „Auch häufige Personennamen der Abaza stammen aus dem Hebräischen, allerdings nicht direkt aus der Bibel, sondern aus dem Koran. Die Abaza-Wörter für „Kirche“ (qlisa) und „Samstag“ (sabscha) erinnern so sehr an die griechische Ekklesia und den jüdischen Sabbat, dass es interessant wäre, zu untersuchen, wann und wie sie entlehnt wurden,“ sagte Alexander.
Doch schliesslich fand ein Teammitglied den Mut, um Hilfe zu bitten, und es geschah ein Wunder. Der jetzige Übersetzer Alexander entpuppte sich als einer dieser „erfahrenen Fachleute,“ an denen es dringend mangelte. Alexander selber sieht in der Geschichte, wie es zu dem Projekt kam, nichts Besonderes: für ihn war es eine Routineangelegenheit: „Eine Kollegin fragte mich, ob ich ihr bei der Fertigstellung der Übersetzung helfen könnte, an der sie gerade arbeitete (das Buch Jona), und ich sagte: kein Problem. Nach der Fertigstellung wurde ich zu einem Seminar für Bibelübersetzer in Moskau eingeladen, das mir sehr gut gefallen hat. Ich bewahre immer noch alle Notizen auf, die ich dort gemacht habe, und lese sie von Zeit zu Zeit wieder.“ Alexander beendete Jona, übersetzte nachher Ruth und ging dann zu den Evangelien über. Er übersetzte Matthäus, später überprüfte er zusammen mit dem Exegeten die bestehende Übersetzung des Lukas. Sie beschlossen, sie von Grund auf neu zu übersetzen.
Danach ging Alexander zur Apostelgeschichte über. Da er für den örtlichen Radiosender arbeitet, beschloss er, einige Tonaufnahmen seiner Übersetzungen im Studio des Senders zu machen. Er las die Texte vor, und sein Kollege übernahm das Korrekturlesen. Es hat perfekt funktioniert. Jetzt nimmt Alexander regelmässig Lesungen aus der Bibel in seine Sendungen auf. Ausserdem verteilt er die veröffentlichten Bibeltexte an 12 Bibliotheken in Karatschai-Tscherkessien, darunter auch an die Nationalbibliothek.
Alexander betrachtet seine Muttersprache nicht als gefährdet. Er liebt sie ..und tut sein Bestes, um neue literarische Werke in Abaza zu schaffen. Alles andere, so glaubt er, liegt in Gottes Hand, und es ist nicht an den Menschen, darüber zu urteilen. „Es ist nicht meine Aufgabe, zu urteilen, was das Abaza Volk am Ende dieses Jahrhunderts erwartet. Das weiss nur Gott.“ Er beklagt sich auch nicht über mangelndes Vokabular. „Unser Wortschatz ist ausreichend. Die Sprache der Abaza ist nicht arm. Wir haben eine Literatursprache, die den ganzen Reichtum der verschiedenen Dialekte in sich aufgenommen hat. Es gibt auch eine ausreichende Anzahl von Wörterbüchern. Als Student habe ich am Institut für Fremdsprachen studiert und Deutsch als Hauptfach belegt. Seit meiner Studienzeit habe ich den Traum, Heinrich Heine ins Abaza zu übersetzen. Das ist mir schliesslich gelungen, und 2007 wurde ein Buch mit meinen Übersetzungen von Heine veröffentlicht. Genauso, wie ich davon träumte, Heinrich Heine zu übersetzen, träume ich jetzt davon, dieses universelle menschliche Erbe - die Bibel - ins Abaza zu übersetzen. Es stimmt, wir sind eine muslimische Gesellschaft, aber es gibt auch eine Anzahl von Abaza Christen. Es sind zwar nur wenige, aber ich denke, es wäre trotzdem gut, die Bibel für sie zu übersetzen. Ich habe sowohl die Bibel als auch den Koran zum ersten Mal 1987 kennengelernt, und zwar auf Russisch. Jetzt kenne ich verschiedene Übersetzungen der Bibel und des Korans. Ich versuche, die Bibel und den Koran tiefer zu verstehen. Und ich spüre, dass Gott mir bei dieser Arbeit hilft.“
Ich vermutete, dass es für Alexander interessanter war, sich mit den Fragmenten des Alten Testaments zu befassen, wobei er seine muslimische Tradition und die Ähnlichkeit vieler alttestamentlicher und koranischer Erzälungen berücksichtigten könnte, aber als ich ihn danach fragte, reagierte er so: „Warum sollten wir die Bibel teilen? Es wäre gut, wenn die ganze Bibel in Abaza erscheinen würde. Das Schwierigste bei der Übersetzung ist, dem Original so nahe als möglich zu kommen. Das betrachte ich als die Hauptaufgabe des Übersetzers. Um dieses Ergebnis zu erreichen, ist es wichtig, mit dem Exegeten und dem Übersetzungsberater eng zusammen zu arbeiten und Schritt für Schritt vorzugehen, ohne einen einzigen Schritt des Übersetzungsprozesses auszulassen. Nur dann wird die Übersetzung gut sein.“
Alexander bedauert nur eins - dass er mit 68 Jahren zu spät mit der Arbeit an der Bibelübersetzung begonnen hat. “Aber ich versuche mein Bestes, einen gesunden Lebensstil zu führen: ich gehe viel spazieren und mache körperliche Übungen, damit ich das, was ich begonnen habe, zu Ende bringen kann, denn Übersetzen erfordert eine gute Gesundheit. Aber bis jetzt hat Gott mir geholfen! Und auch meine Frau hilft mir sehr. Sie unterstützt mich emotional und manchmal gibt sie mir gute Ratschläge für meine Übersetzung. Sie ist Russin und Christin, während ich Muslim bin. Wir sind bereits seit 46 Jahren zusammen, und ich habe den Eindruck, dass wir beide für diese Arbeit geschaffen wurden.“
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